Ein Märchen in der Ostsee: Wandern auf der Insel Hiddensee
von Oliver Abraham (gms)

Weit im Westen erstrahlt der Horizont in orangefarbenem Licht, die Sonne geht unter. Im schwindenden Tageslicht ist gerade noch die Silhouette der Insel Hiddensee zu erkennen, davor eine glatte weiße Fläche, darüber ein weiter Himmel - vom eisigen Wind leergefegt. Der Schiffsdiesel wummert, die Fähre drängt durch das Eis, Schollen werden krachend beiseite geschoben. Ansonsten ist es still, selbst die Möwen haben sich verzogen. Ganz langsam taucht der Hafen von Vitte auf, seit einer halben Stunde kämpft sich das Schiff durch den Schaproder Bodden - Halbzeit auf der Überfahrt zu Deutschlands wohl schönster Insel.

Der Kapitän manövriert das Schiff an den Anleger, die Hiddenseer - Pendler nach Rügen - steigen als erste Passagiere aus, auf der Ladefläche dreht sich ein Traktor auf dem Glatteis. Der Gast steht mit seinem Gepäck im Schnee unter einer Laterne und kramt nach dem Ortsplan. Wo ist die Pension? Der Ort ist klein, so ist es nicht schlimm, dass die kurze Strecke zu Fuß bewältigt werden muss - Hiddensee ist autofrei. Die Sonne ist untergegangen, es riecht nach Meer und Schnee. Aus der Gaststube dringt fröhliches Geplauder, die Scheiben sind beschlagen, das Schild preist Fischgerichte.

Früh am Morgen dann der Aufbruch zur Wanderung über die Insel, der Rucksack ist mit Broten und heißem Tee gepackt. Der Frost der vergangenen Nacht hat die trübe Nässe ausgefroren, glitzernder Raureif, wohin das Auge blickt. Schnell ist der Ort verlassen, alsbald wandelt man am einsamen Ostseestrand. Ein Schwarm Schwäne fliegt über der See.

Mit jedem Meter steigt das Land an. Das Nordende der Insel Hiddensee erreicht eine Höhe von 70 Metern. Am nördlichen Ufer fällt der Dornbusch, so heißt die Gegend am äußersten Zipfel der Insel, abrupt zur See ab. Je weiter der Wanderer zum wilden Ende Hiddensees kommt, desto bizarrer wird die Szenerie. Dort tobt sich die Ostsee aus, hat Eisscholle um Eisscholle an den Strand geworfen und ohne erkennbare Ordnung aufgetürmt. Auch hier funkelt, gleißt und glitzert es - fast wie in der Arktis.

Im Gegensatz zum Bodden ist die offene Ostsee noch nicht zugefroren. Doch je weiter die See zwischen die beiden Inseln Hiddensee und Rügen vordringt, desto dichter schieben sich die vereinzelt treibenden Eisschollen zusammen, bis sie schließlich in eine massive, geschlossene Eisdecke übergehen, unterbrochen nur durch die Fahrrinnen der Fähren, die die letzte Verbindung zur Insel Rügen und dem Rest der Welt aufrechterhalten. Hält der Frost länger an, schließen sich auch diese Rinnen.

Das ist dann aber mehr oder weniger egal, denn oben von den Hügeln kann man schon die ersten Mopedfahrer erkennen, unterwegs auf dem Bodden, Richtung Rügen. Inzwischen ist es Nachmittag geworden, das helle Licht des Wintertages wird immer weicher und wärmer und modelliert die Landschaft der sanften Hügel oben auf dem Dornbusch. Der Wind hat aufgefrischt und verdichtet die aufgetauchten Wolken. Doch immer wieder reißt die Wolkendecke auf, Lichtfinger streifen über die Landschaft und beleuchten wie ein Spot Details: vom Raureif gefrostete Sanddorndickichte, reetgedeckte Gehöfte unten am Ufer, den Leuchtturm. .

Wälzen sich im Sommer massenhaft Touristen durch diesen Teil des Nationalparks «Vorpommersche Boddenlandschaft», findet der Besucher im Winter das, was Hiddensee so faszinierend macht: Ruhe, Entspannung, Einsamkeit, Natur pur. Damit das so bleibt und die Natur Oberhand behält, gibt es nicht nur auf dem Dornbusch, sondern auf der ganzen Insel strenge Bestimmungen - Naturschutz wird auf Hiddensee groß geschrieben und jeder Gast hat die Bestimmungen einzuhalten. Dazu gehört vor allem, dass die gekennzeichneten Wege nicht verlassen werden. Außerdem dürfen bestimmte Gebiete wie der Gellen an der Südspitze Hiddensees oder der Bessin ganz im Nordosten nicht betreten werden. Und wie bereits erwähnt: Hiddensee ist autofrei. .

Weil es keine Autos gibt, braucht man auf Hiddensee auch keine Straßen - neben der holprigen Hauptpiste, die die drei Dörfer Neuendorf im Süden, Vitte in der Mitte und Kloster im Norden miteinander verbindet, gibt es nur noch Sandwege und Trampelpfade. Wer fortkommen will, geht zu Fuß oder nimmt das Rad. Auf Hiddensee ticken die Uhren etwas langsamer als sonst, Hektik ist ein Fremdwort. .

Es wird dunkel, die Bäume auf dem Dornbusch werfen lange Schatten. Kälte kriecht über das Land, der Wind frischt auf, trägt den Geruch der See und das sachte Klatschen der Wellen heran. Im Dorf Kloster brennen längst die Lichter, warmes Licht dringt durch die Scheiben der Häuser auf die leeren Straßen, die Gaststube lockt. .

Auf dem Rückweg nach Vitte lockt noch etwas ganz anderes: ein legendärer Goldschatz. Nachdem im vergangenen Jahrhundert eine schwere Sturmflut gewütet hatte, blinkte und glitzerte es am Strand von Neuendorf - ein Schatz. Um das kostbare Geschmeide ranken sich allerhand Märchen und Gerüchte. Fest steht, dass der Schmuck aus der Jahrtausendwende stammt und Eigentum von Dänenkönig Harald Blauzahn war. Wie er nach Hiddensee gelangte, ging im Dunkeln der Geschichte unter. Hausten hier etwa Piraten?

Fest steht weiterhin, dass die Ausstellungsstücke Imitate sind, das Original liegt gut weggeschlossen in einem Stralsunder Museum. Einen ganz anderen Schatz gibt die Ostsee immer mal wieder nach einer stürmischen Nacht frei - Bernstein. Hat eine steife Brise die See so richtig aufgewühlt und allerhand Zeug an den Strand der Westküste gespült, stehen die Chancen gut, ein Stück vom «Gold der Ostsee» zu ergattern. Aber nur in dem Bereich, wo Tang, Treibholz und anderes schwimmfähiges Gut zusammengespült sind, findet sich auch Bernstein. Meist ist er von einer schmutzigen, festen Kruste umgeben - goldig schimmert er im Rohzustand nicht. Man braucht neben Glück schon ein gutes Auge, um fündig zu werden.

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